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Wie isses denn nun gerade eigentlich so, dieses Leben mit Zwillingen? Das erste Jahr ist ja sowas von längst vorbei, die Doppelkinder sprechen – zumindest rudimentär, sie laufen – sehr schnell, bald können sie die Primzahlen und in die Betreuung gehen sie ja mittlerweile auch schon. Tja, wie isses? Das lässt sich gar nicht so ohne weiteres in einem Satz beantworten.
Theoretisch betreut
Die Zwillbos sind betreut. Ja. In den letzten Wochen allerdings mehr auf dem Papier als in der Praxis. Tagesmütter haben Urlaubsansprüche, dann bleiben die Jungs zu Hause und hängen mit Mama ab. Luther hat es vor 500 Jahren an der Kirchentür krachen lassen und bescherte uns nach Jahren des Pausierens mal wieder einen Feiertag. Einen von einigen im Herbst.

Weniger hohe Motive als den Schöpfer der Reformation bewegen wohl die Bazillen, die die Betreuungstage der Kinder in den vergangenen Wochen quasi auf null haben schrumpfen lassen. Leben mit Kleinkindern – ach ja, richtig, da war ja was! Aber was denn? Naja, Planbarkeit und Kontinuität sind es jedenfalls nicht. So husten und schnupfen und fiebern wir uns durch den Herbst und kurbeln die Zellstoffindustrie weiterhin an. Na, immerhin sind die Zwillbos unterdessen in der Lage, die Inhaliermaske eigenständig festzuhalten [Achtung, Text kann Spuren von Sarkasmus enthalten]. Für mein Projekt „Freiberuflichkeit” stehen die Zeichen unter diesen Umständen weniger gut.
Jenseits der Schübe
Und sonst so? Wie sind sie denn sonst so drauf? Ach, was waren das noch für Zeiten, in denen wir übermüdeten Eltern uns nur das Wort „Schub” zuhauchen mussten, und schon konnten wir einander verständnisvoll und mitfühlend zunicken. Da wurde sich mit Pauken und Trompeten entwickelt wie es im Lehrbuch stand [Achtung, kann Spuren von Übertreibung enthalten]. Das war nicht schön, aber man konnte in einschlägiger Literatur über den Grund der aktuellen Pein nachlesen und erfahren, wohin sie einen derzeit führt: „Ihr kleiner Liebling lernt gerade greifen.” „Ihr Schatz erwirbt derzeit Fähigkeiten, die ihm später helfen werden, sich im Raum zu orientieren.” „Ihr Kind erlangt gerade die Grundlagen dafür, dass Sie ihm in 21 Jahren verständlich machen können, was Sie gerade durchstehen.” Ach so, okay, dann ist ja gut.
Jetzt läuft das anders ab. Wir stecken in einem einzigen Schub. Der Schub, der Richtung Autonomie und Selbst fährt [es fährt kein Schub nach nirgendwo. Achtung, kann Spuren minderanspruchsvoller Wortspiele enthalten]. Selbst Schuhe anziehen. Selbst Brote schmieren – und den Tisch gleich mit. Selbst eincremen – und den Boden gleich mit. Selbst quasseln, bis Mama die Ohren abfallen. Selbst dem Bruder den Bagger über den Kopf ziehen. So empfinde ich es an anstrengenden Tagen. Die folgen oft auf anstrengende Nächte – aber dazu später mehr.

An anderen Tagen erlebe ich zwei Kinder, die mehr und mehr allerliebste und lustige Dialoge miteinander führen: „Pepe, geht das dir? Alle gut?” „Gut, ja, alle gut!” Ich erlebe Kinder, die eigenständiger werden, die auch mal alleine spielen. Die die Welt entdecken und uns von dem erzählen können, was sie erlebt haben. Ich erlebe Doppelkinder, die zwar vom ersten Herzschlag ihres Lebens an gemeinsam existiert haben, von denen jedoch jedes seine ganz eigene Persönlichkeit mit in diese Welt gebracht hat. Ich entdecke Vorlieben, Abneigungen, Ängste, Charaktereigenschaften.
Entwicklungsbedingt hochemotional
Ich stelle fest, wie gut wir mittlerweile mit einander sprechen können, wie viel ich den Jungs erklären kann und wie klar sie sich und ihre Bedürfnisse bereits zum Ausdruck bringen. Ich muss nicht mehr erraten, warum gerade brüllartige Laute aus der Kopfmitte meines Nachwuchses kommen. Das macht den Moment nicht leiser, aber das Stillen den Bedürfnissen oder die Kommunikation darüber. Es gibt Tage, die sind maximal anstrengend, weil man dutzende Zwistigkeiten zwischen zwei entwicklungsbedingt hochemotionalen Geschöpfen schlichten muss, von denen keines einen Deut verständiger ist als das andere. Weil so ein Gehirn eben Jahre braucht, um Vernunftsfähigkeit auszubilden.
Es gibt Nächte, in denen werde ich vielleicht zwei Mal kurz wach, um eine Wasserflasche anzureichen oder weil einer der Jungs im Traum nach einem Bagger verlangt. Oder nach Nudeln und Eis. Tendenziell werden diese Nächte mehr. Es gibt aber auch immer noch Nächte, in denen ich 20 Mal wach bin, 20 Mal Wasser anreiche, 20 Mal tröste, weil irgendetwas gruselig ist, 20 Mal sage, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt zum Aufstehen oder Pommes essen ist.

Und wenn ich mich selbst jetzt gerade frage, warum ich mich denn eigentlich so überfahren fühle, dann lautet die Antwort: „Weil alles.” Weil alles immer noch viel ist. Weil ich nach zwei Jahren Vollzeit-Mama-sein keinen Urlaub genommen, sondern richtig rangeklotzt habe. Um Dinge umzusetzen, die ich zwei Jahre lang total vermisst habe. Weil ich Nachholbedarf in vielen Sachen habe. Weil ich stets viel auf einmal möchte. Weil auch stets viel auf einmal geht. Weil ich zu wenige Pausen machen. Weil Kleinkinder einem viel abverlangen.
Rettungsanker
Was mich in solchen Zeiten rettet? Über den Haufen geworfene Pläne betrauern – und gehen lassen. Annehmen was ist: Mit den erkälteten Kindern durch den Park streifen, frische Luft genießen, mir sagen, dass das dann jetzt wohl gerade das richtige für uns ist. Yoga. Atmen. Immer wieder zu mir zu kommen. Da bin ich echt pingelig. Weil ich gelernt habe, dass 7 Minuten mentale Entspannung und 30 Minuten Yoga am Abend mir Stabilität geben. Und 37 Minuten sind wirklich nicht viel. Wäre ich gerade ausgeschlafener, würde ich euch zackig ausrechnen, ein Wievieltel des gesamten Tages das bloß ist. Bin ich aber nicht. Was ich eigentlich mit diesem Beitrag sagen möchte: Alles bleibt anders. So isses nun gerade.
Das ist so toll geschrieben! Ich habe zwar keine Zwillinge, aber zwei kleine Kinder (2;5 und 9 Monate) und ich habe auch gemerkt.. Die Situation anzunehmen hilft. Wir hängen auch sehr viel draußen herum, weil da einfach immer was los und spannend ist. Und sooooo viel weniger schlechte Laune :-)
Nur jetzt kommt ja die etwas kalte und ungemütliche Jahreszeit.. Mal sehen wie wir das meistern werden..
Herzliche Grüße!
Anna
Das WERDEN wir meistern, definitiv! Also, ihr und wir :-D Im letzten Winter gab es auch echt kaum einen Tag, an dem wir komplett ans Haus gefesselt waren, ich bin da nicht so zimperlich – und du auch nicht, wie mir scheint. Notfalls fahren wir halt in den Baumarkt, zu Ikea oder zwei Stunden Bus und Bahn!
Liebe Juli. Das klingt nach Alles viel und gleichzeitig ganz wunderbar…Wenn ich hier so mitlese, bekomme ich gerade einen ganz warmen Dankbarkeitsanfall…..weil ja auch hier nach drei Jahren Zwillingsjungs und dazu Krankheiten und Job und Co Alles viel – aber ganz viel ganz wunderbar. Und das sehe ich manchmal im Alltag nicht, aber dank der Zeilen hier eben doch. Freu dich auf noch mehr Dialoge, ganz viel Lachen und vor allem auch auf ruhigere Nächte ? Und ganz toll, dass du dir 37 Minuten Ich gönnst, da muss ich bisserl dran arbeiten wieder….aber so isses eben gerade…Viele Grüße
Ach Danke!!! Deine Worte ermutigen mich, und zu lesen, was der Text bei dir bewirkt, macht mich total froh!! Alles Liebe!!! …und denk an deine 37 Minuten!!!!
Hey Jule,
sehr schöner Text & so nachvollziehbar! Heute hab ich mir das erste Mal den Podcast angehört! #geilerscheiß!!! Super sowas! Bloß liest Du so so schnell, dass ich nachher lieber gelesen habe! In deiner Instastories, klebe ich so an deinen Lippen!
Aber egal, ich mag Dich, finde die Podcast toll & die Texte sowieso!!!
Lieben Grüße
Tina ??♀️
Wow, Danke dir für deine Worte!!! Das freut mich total! Gut, dass du es mir noch mal sagst ?, ich versuche es mal ein wenig langsamer ?. Ganz liebe Grüße!