Wie in jedem Nischen-Bereich im Leben verwenden auch Eltern gerne fachspezifische Ausdrücke. [Werbung, enthält affiliate Links] Beikost zum Beispiel. PEKiP. Bedürfnisorientiert. Oder eben Schub. Ich wüsste nicht, dass mir zu kinderlosen Zeiten Mal der Begriff „Schub“ untergekommen wäre. Natürlich war er in meinem Wortschatz angelegt, aber mit einer etwas anderen Bedeutung.
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Wenn man so ein Baby – oder mehrere – dann erst einmal hat, wird das anders. Man kann in einem Fachvokabular parlieren, welches das kinderlose Umfeld sprachlich komplett ausgrenzt. Zumindest mich hätte man damit früher in vollkommene Verwirrung versetzt. Als ich mich dann postnatal in Fachkreisen anderer Eltern zu bewegen begann, suchte sich der Schub im Handumdrehen einen festen Platz in meiner Alltagssprache.
Feuerwerk der schlechten Laune
Die Zwillinge feierten jeden auch nur erdenklichen Entwicklungssprung mit einem Stimmungsfeuerwerk ab, das seinesgleichen suchte. Wie in jeder Branche gibt es auch hier allerhand Equipment. Fachliteratur, Blogartikel, Elternforen, Apps, die einem nach Eingabe des errechneten Geburtstermins fein säuberlich anzeigen, wann der Orkan aufzieht, welche neuen Features er mit sich bringt und wie lange der Spuk dauert.
Fluch und Segen zugleich, weil man sich so manches Mal vielleicht extremer auf frühkindliche Entwicklungsphasen fokussiert als nötig. Und dann ist es plötzlich vorbei. So mit etwa 20 Lebensmonaten, wenn ich mich recht erinnere. Zumindest mit den Tools, die uns armen schubgebeutelten Eltern anzeigen, was gerade Sache ist im Kinderhirn.
Mit den Schüben selbst ist es nämlich längst nicht vorbei, und allmählich beschleicht mich auch die Gewissheit, dass das noch eine ganze Weile so bleiben wird. Geschätzte 75 Jahre mit Sicherheit. Zuweilen habe ich nämlich das Gefühl, dass selbst ich noch Sprünge durchlaufe. Und manchmal ist mir in diesen Zeiten innerlichen Wachstums auch ziemlich arg danach, zu brüllen und auf den Arm zu wollen.
Das Tückische an allen Schüben, die folgen, wenn uns Literatur und Apps im Kleinkindalter verlassen: Du hast keinerlei Anhaltspunkte ob – und wenn ja, was da gerade eigentlich im Argen ist, wenn deine Kinder plötzlich tagelang Launen an den Tag legen, die den Wunsch nach einer internationalen Gemeinschaft für Elternrechte und deren Schutz in dir sehr laut werden lassen.
Die Zwillbos sind mittlerweile drei Jahre alt. Grob über den Daumen gepeilt möchte ich behaupten, dass wir uns so gut wie jeden Monat für ein paar Tage bis zu einer Woche in irgendetwas befinden, dass sich gut und gerne weiterhin als Schub bezeichnen lässt. Nur warnt mich mittlerweile keine App mehr vor und ich kann nicht fein säuberlich nachlesen, welche Fähigkeit uns diese Tage bringen, die uns so viel Schweiß und Tränen abverlangen.
Kurze Zündschnur und viel Gebrüll
In der Regel leitet der Zweitgeborene den Zauber ein. Mit bilderbuchhaftem Autonomiephasen-Verhalten. Sprich: mit noch größerer Ungeduld, mit dem absoluten Willen, alles alleine zu schaffen, mit einer aufs Minimum verkürzten Zündschnur und viel Gebrüll und übler Laune.
Dann arbeitet er sich so richtig schön an mir ab, meine Nerven werden mit der Stahlbürste ordentlich angeschreddert, und in der Regel sind das auch Tage, während welcher sein Zwillingsbruder ordentlich einstecken muss. Dann ist der Kampfmodus eingeschaltet, es wird gebissen, gehauen und geschubst.
Das passiert sonst auch gelegentlich, aber wenn hier Entwicklung stattfindet, kann ich die Jungs quasi kaum aus den Augen lassen. Denn eines ist sicherer als das Amen in der Kirche: Sobald ich mich umdrehe oder den Raum verlasse, bricht binnen 30 Sekunden das Chaos herein und ich finde die beiden Streithähne ineinander verkeilt auf dem Boden wieder. Anstrengend. Für alle Beteiligten.
Zwillingseltern haben ja oft das zweifelhafte Glück, dass zwei Kinder zeitgleich die selbe Entwicklung durchlaufen und man es mit der doppelten Kraft der schlechten Laune zu tun bekommt. Manchmal ist es aber auch so, dass der Gefühlssturm des zweiten Kindes erst dann aufzieht, wenn das Gewitter des ersten sich entladen hat. So hat man dann länger etwas davon.
Während der Zweitgeborene also meist beginnt, zieht der Erstgeborene dann irgendwann nach oder steigt munter mit ein. Bei ihm läuft es allerdings ein wenig anders ab. Er wird eher weinerlich als dass er wütet. Auch er rebelliert, er rastet allerdings irgendwie auf einer anderen emotionalen Ebene aus. Braucht mehr Nähe als Reibung, zieht sich aber auch mal zurück und möchte oft mit seinem Schnuller im Bett liegen und kuscheln – back to Baby, quasi.
Die verschiedenen Arten, diese Phasen auszuleben, wundern mich eigentlich nicht. Sie passen zu den Gemütern unserer Söhne. Sie sind unterschiedlich. Und obschon wir uns nicht mehr im Babyzeitalter bewegen, so erinnern mich die Kleinkind-Schübe doch noch an die Zeit, in der die Zwillbos zwuckelig klein waren.
Sie verfallen zurück in vorherige Entwicklungsstadien, werden wieder babyhafter, brauchen mehr Nähe und so weiter. Vermutlich hat man das nur nicht mehr so auf dem Schirm wie noch vor zwei Jahren und erwartet unbewusst, dass der ganze Zinnober doch mittlerweile hinter einem liegt.
Kindliche Naturgewalten
Wenn die kindlichen Naturgewalten sich dann nach ein paar Tagen wieder beruhigt haben, sich die düsteren Wolken verziehen und plötzlich keine Blitze mehr am Horizont zucken, sind die Jungs wie ausgewechselt. Scheinbar von jetzt auf gleich stehen zwei völlig andere Kinder vor mir. Sie reden anders, haben ihr Sozialverhalten weiterentwickelt und sind zu Denkprozessen fähig, die mich ungläubig staunen lassen.
Ich bin dann stolz, fasziniert und begeistert von ihren neuen Fähigkeiten. Der Stolz und die Bewunderung für die Entwicklungsleistung dieser kleinen Menschen lassen die vorherigen Katastrophentage verblassen und in Vergessenheit geraten. Bis es zum nächsten Mal soweit ist.
Aber dann versuche ich mich daran zu erinnern, wie oft ich das mittlerweile schon durchgestanden habe und welche Schätze am Ende einer solchen Gemütsumwälzung zutage kommen. Und dass Entwicklung und Wachstum auch für große Leute in der Regel anstrengend und schwierig ist. Nur dass wir bestenfalls im Laufe unserer Heranwachsens von jemandem gelernt haben, gut und reflektiert damit umzugehen. Das ist jetzt unser Job. Einatmen, Ausatmen, Kinder an die Hand nehmen, das Gewitter mit ihnen durchstehen, Genießen, und wieder vorn.
Also keep calm and schub on, Mama!
Bücher zum Thema*:
Oje ich wachse, Die Sprünge der ersten 14 Lebensmonate
Oje, ich wachse, Die Sprünge der ersten 20 Lebensmonate
Oje, ich wachse, Das Spielbuch
Babyjahre, kindliche Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Lebensjahren
Das gewünschtes Wunschkind, Gelassen durch die Trotzphase
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Es tut so gut, wie positiv du immer alles sehen kannst – kannst du mir was davon abgeben? Meine beiden sind jetzt auch 3 und ich behaupte immer, dass er erste Schub nun schon 3 Jahre andauert ;-) Die Phasen zwischen den Stürmen scheinen mir immer so furchtbar kurz zu sein und verblassen dann schnell wieder. Vielleicht liegt es daran, dass meine beiden immer nacheinander in die Schübe kommen und zwischendurch wirklich nur wenig Zeit für Erholung bleibt. Einer schreit halt immer… ;-)
Hey meine Liebe, es ist aber auch echt verdammt hart! Und die Tage, an denen ich ähnlich empfinde wie Du, gibt es durchaus aus! Ich versuche, ganz viel aus den wundervollen Momenten zu ziehen, die ich mit ihnen erlebe, wenn sie mal nicht irgendwo hin schuben – aber es ist und bleibt wirklich anstrengend!
Cool geschrieben! Ich habe mich sehr amüsiert :-D
Ich danke Dir sehr :-D
Beruhigend zu lesen, dass es bei anderen Zwillingsjungs auch Kämpfe gibt. Ich dachte zuweilen meine Jungs seien.. besonders….
In Schüben denke ich gar nicht mehr. Ich nehme es so an wie es kommt. ? Und bin auch dann erstaunt, was die beiden können. Quasi scheint es jedes Mal wie ein Urknall ?
Oooooh ja!!!! Ich versuche, es als gutes Zeichen zu sehen, dass sie sich so entwickeln :-D
Das mit dem Urknall trifft es PERFEKT!!!