Liebe andere Mama, Danke, dass Du da warst!

Liebe andere Mama,

ich möchte Dir Danke sagen. Danke für Deinen verbündenden Blick, als sich mein Sohn in der Gepäckhalle des Flughafens vor Wut auf den Boden geschmissen hat. Danke für dein verständnisvolles Lächeln, als er tobte und brüllte, als er seine Schuhe um sich schmiss, mit seinen kleinen Fäusten gegen meine Beine trommelte und schrie.

Mamaleben. Nicht immer leicht.

Danke für Dein ermutigendes Nicken, als ich aufhörte, mit ihm zu diskutieren, sondern mich vor Augen Hunderter Menschen zu ihm auf den Boden sinken ließ und ihn einfach nur fest an mich drückte. Missbilligende Blicke von allen Seiten, aber Du warst bei mir. Über die Distanz von zehn Metern. Über ein Lächeln und Gedanken. Wir kennen uns nicht, werden uns niemals sprechen oder wiedersehen. Aber in diesem Moment warst Du mein Anker. Danke.

Was uns trennt?

So oft geht es um all die Details, die uns Mamas voneinander trennen. Die „solche Mütter“ anders machen als „wir“. Dieser bindungsorientierte Scheiß. Furchtbar. Egomanen zieht man sich damit heran, die später die Supermärkte abfackeln. Fernsehen schon mit zwei Jahren? Das ist ja unverantwortlich für die Hirnentwicklung! Mit einem Jahr schon Zucker? Mit drei Jahren noch nicht trocken? Stillen bis ins Kindergartenalter? Nicht stillen? Nur drei Monate stillen? Kinderwagen? Tragetuch? Alleine schlafen? Familienbett? Sind „die“ denn alle irre?!

Würden wir in der Zeit, die wir damit verbringen, das Leben anderer Eltern zu bewerten, mit unseren Kindern spielen, hätten alle mehr davon. Versteh mich nicht falsch, ich breche auch ungefragt über andere die Lanze. Ich posaune mein herbei interpretiertes Nichtexpertenwissen hinaus, ohne dass mich irgendwer nach meiner Meinung fragt Und ich bade mich in dem genüsslichen Gefühl, das kurz entsteht, wenn wir uns über andere erheben.

Kraft der eigenen Flügel

Leider erheben wir uns in solchen Momenten nicht aus der Kraft unserer Flügel. Wir werden vielleicht optisch größer. Aber nur, weil wir den anderen runterdrücken. Schade. Das kostet so viel Energie. Und die Flügel, um sich aufzuschwingen, hat man dann auch nicht mehr frei.

Natürlich hacken wir manchmal auf den Lebensentwürfen anderer herum. Das ist Taktik. Wir wollen uns ja richtig entschieden haben. Wir möchten Recht mit dem haben, was wir tun und den richtigen Weg gehen. Wodurch ließe sich das besser unter Beweis stellen als durch das Unrecht der anderen?

Wir suchen den richtigen Weg.

Schwarz und weiß. Das eine erschafft das andere. Je emotionaler das Thema, desto dringlicher möchten wir unsere Entscheidungen legitimieren. Und gibt es ein emotionaleres Thema als Elternschaft? Danach kommt lange nichts und dann kommt irgendwann Hundehaltung. Und vielleicht Autofahren. Oder so ähnlich.

Ich will nicht mehr verurteilen

Also sammeln wir fleißig, was uns trennt. Irgendwie schön blöd und schön anstrengend. Früher war das schon fast ein automatisierter Prozess bei mir. Vielleicht habe ich mich dadurch in meiner noch so neuen Mutterrolle, die mit Unsicherheit und Angst beladen war, sicherer gefühlt.

Und obwohl ich mir mittlerweile fest vorgenommen habe, es anders zu machen, passiert es mir immer noch oft genug. Ich ertappe mich ständig dabei, wie mein Gehirn in den Bewertungsmodus schaltet, sich die schwarze Robe überwirft, zum Hammer greift und diesen bei jedem Menschen, der meinen Weg kreuzt,  mit einem lauten Krachen auf die Tischplatte sausen lässt. VERURTEILT! LEBENSLÄNGLICH!!!

Sind wir so sehr darauf programmiert worden in unserer Entwicklung? Ich weiß es nicht, aber ich bemerke es immer häufiger und kann es unterbrechen. Denn am Ende wünschen wir uns doch alle nur eins: Kleine Menschen, die starke, liebevolle Erwachsene werden.

Unterm Strich sind wir doch irgendwie alle Frauen, die jeden Tag ihr Bestes geben. Frauen, denen oft genug zum Heulen zumute ist, weil das Beste nicht auszureichen scheint. Frauen, die sich manchmal total alleine fühlen mit den Kämpfen, die in ihren Köpfen und Herzen toben. Frauen, die nicht immer eine beste Freundin zur Seite haben, mit der sie sich stark fühlen. Ist denn das, was uns eint nicht viel stärker als das, was uns trennt? Aber wir dürfen das auch langsam lernen.

Danke, dass Du eine Frau bist, die hier gut mit anderen umgeht!

 

6 Kommentare Gib deinen ab

  1. Pascale sagt:

    Liebe Juli

    Was das ausmachen kann, so eine Mama! Erst letzte Woche hatte ich mich zu meinen beiden brüllenden und tobenden Menschlein auf den Boden gesetzt und kapituliert. Ich konnte nicht mehr. Vor allem nicht diskutieren und weitere Kompromisse anbieten. Also habe ich mich mitten auf dem Weg auf den Boden gesetzt, die beiden zu mir genommen und gewartet. Und das obwohl gerade eine Mama mit ihrer scheinbar zufriedenen Tochter mir entgegen kam. Und obwohl wir in einem kleinen Dorf leben und wir uns wieder begegnen werden.

    Mir wars egal.

    Diese Mama blieb stehen und ich dachte schon oh nein, bitte kein Mitleid oder blöde Sprüche. Sie aber sagte nur “anstrengende Zeit, was?” und hat mir Hilfe angeboten. Einfach so. Sie hat meinen Tag gerettet. Vielen Dank auch an diese Mama!

    Meine besten Gespräche mit anderen Eltern entstehen nur durch Ehrlichkeit. Schade nur, dass ich meistens als erste ehrlich sein muss…

    Alles Liebe, du bist eine super Mama!

    1. Juli sagt:

      Danke Dir von Herzen, Pascale, dass Du das hier so teilst!!! Und toll, dass Du mit Deiner Ehrlichkeit so vorangehst, davon schneide ich mir jetzt einfach mal eine dicke Scheibe ab!!!! Ganz liebe Grüße und Danke für Deine Worte! Juli

  2. FrauBitte sagt:

    Liebe Juli, danke für Deinen tollen Beitrag!!! Ich bin total bei Dir!
    Ich habe mich auch schon gefragt, woran es liegt, dass ich so schnell in die Verurteiler-„Schiene“ gerate…sind wir wirklich so programmiert? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass für mich die Konsequenz ist, besonders auf meine Reaktion/ meine Worte zu achten, insbesondere wenn meine Tochter in der Nähe ist…Menschen eben nicht zu verurteilen, nicht über die so „schräg“ gekleidete Dame zu lästern, die uns entgegenkommt oder über den Dicken, die total Dünne, die mit den pinken Haaren, den mit dem Rock und den High Heels und und und…ich würde mir so sehr wünschen, dass sie vorurteilsfrei und überhaupt frei auf andere Menschen treffen kann. Das fällt mir nämlich tatsächlich oft noch schwer!
    Beste Grüße

    1. Juli sagt:

      Hach, DANKE, DANKE, DANKE für Deine Offenheit!!!! Gut, dass Du auch noch mal den Bezug zu Deinem Kind erwähnst, genau!!!! Wir leben das ja vor, wie wir mit anderen Menschen umgehen. Gut zu wissen, dass wir gemeinsam üben!!!! Ganz liebe Grüße!!!

  3. Stefanie sagt:

    Liebe Juli, ein toller Text wie immer. JA JA und JA ich stimme dir voll und ganz zu.

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