Diese Müdigkeit, ich kannte sie schon. Nur ein paar wenige Stunden Schlaf pro Nacht, und das gleich mehrere Tage hintereinander. Alles schon da gewesen, im Jahr 1 mit den AJs. Lag alles hinter uns, war abgehakt. Eigentlich. Aber dann kam das alles wieder, Ende 2017. Da hatten die AJs schon längst den Zenit von Jahr 5 überschritten. Die Müdigkeit, sie kam aber nicht allein. Denn sie hatte einen Grund, der auch gleichzeitig ihre Begleitung war. Diese Begleitung hieß Schmerz.
Rücken meldet sich
Es hatte im Sommer angefangen: Rückenschmerzen. Im Ponyhof klopfe ich im Kapitel “Grenzgänger” noch auf Holz. Mit einem Rücken, der nicht unbedingt der allerfesteste Fels in der Brandung ist, war ich ganz froh, Jahr 1 als Zwillingsvater überstanden zu haben, ohne an meinem Körper größere Spuren festzustellen. Das ständige Heben, das häufig gleichzeitige auf den Arm nehmen beider Kinder, die vielen ruckartigen, wenig kontrollierten Bewegungen; all das funktionierte eigentlich ganz gut.
Nur keine Panik, so schlimm wird es nicht!
Mehr als deinen Kopf reißt man dir nicht weg!
Komm und sieh nach vorn!
Steh auf, wenn du am Boden bist!
Jetzt aber, im Jahr 5 war dann alles anders. Schwer zu sagen, warum die Schmerzen kamen. War es zu viel Stress bei der Arbeit? Waren es Fehlbelastungen? Oder war es ein Körper, der jetzt, wo das Leben mit den AJs deutlich einfacher wurde, ein eingeschränktes Funktionieren von mir zuliess? War es eine Mischung aus all dem?
Devise: “Ich schaffe das!”

Ich werde es nie wissen. Aber Sommer und Herbst 2017, sie werden es nicht in die Hitliste der schönsten Momente unserer Zeit als Familie schaffen. Bald herrschte Gewissheit: Bandscheibenvorfall. Aber ich änderte nur wenig an meinen Lebensgewohnheiten. Den Sport drosselte ich zwar, aber im Job blieb der Einsatz gleich. Und zu Hause auch. Beides war Ehrensache. Ich lebte nach der Prämisse: “Was im ersten Jahr mit den AJs geklappt hat, das klappt jetzt auch!”. Und damit meinte ich vor allem immer vollen Einsatz zu leisten. Denn ich war in den ersten Jahren als Zwillingsvater auch einfach stolz darauf, dass ich diesen oftmals schmerzhaften Spagat zwischen Job und Familie hinbekommen hatte – und daneben noch mehr als nur ein bisschen Sport betrieben hatte, sondern Triathlon und Hindernislauf auf Wettkampfniveau.
Auch wenn die Zeichen gerade alle gegen dich stehn’
Und niemand auf dich wetten will
Du brauchst hier keinem irgendeinen Beweis zu bringen
Es sei denn es ist für dich selbst!
Steh auf, wenn du am Boden bist!
Regelmäßig an die Grenzen – ganz gezielt
Für nicht Wenige war und ist vielleicht immer noch der Sport der Hauptsündenbock für diesen Vorfall. Kann ja schließlich nicht sein, dass ein Dreifachvater neben Job und Familie auch noch im ambitionierten Maß Wettkampfsport betreibt! Aber, hey, ich bin nun mal ein Bewegungstierchen. Und ein Adrenalin-Junkie. Schon immer. Ich brauch(t)e den Sport als Ausgleich. “Work hard, play hard”, das Motto ist ja kein unbekanntes. Rückblickend denke ich aber, dass ich damals schon fast zwanghaft regelmäßig meine körperlichen Grenzen suchte. Einfach, um in diesem Stahlbad des Zwillingsvater-Stresses nicht abzusaufen.
Am Ende musste mein Rücken unters Messers. Schlafentzug und Schmerz in unheiliger Allianz – da findet jeder Spaß schnell ein Ende. Gelitten habe aber nicht nur ich. Die ganze Familie musste während der Wochen meines Totalausfalls untendurch. Allen voran meine Frau, der ich eigentlich gar nichts mehr abnehmen konnte, die wochenlang im roten Drehzahlbereich unterwegs war. Aber auch die Kids waren verstört: Papi zu Hause auf der Couch, aber kein Kletterbaum? Warum isst Papi im Stehen? Warum lacht Papi nicht mehr? Was ist denn da los?
Und wenn ein Sturm dich in die Knie zwingt
Halt dein Gesicht einfach gegen den Wind
Egal, wie dunkel die Wolken über dir sind
Sie werden irgendwann vorüberziehn’
Steh auf, wenn du am Boden bist!
Viel gelernt, halt auf die harte Tour

Das alles war 2017. Selten habe ich einen Jahreswechsel so sehr genossen wie den letzten. Seit Mitte Dezember geht es bergauf. Mit viel Disziplin bin ich schmerzfrei. Der Rücken ist wieder stark. Ich schwimme, laufe, fahre Rad. Bin wieder Pferd und Kletterfelsen.
Aber ich habe gelernt. Halt auf die harte Tour. Dass auch ich, der Zwillingsvater, Grenzen habe. Dass mein Körper nicht mehr der eines Zwanzigjährigen ist. Dass eben doch nicht alles möglich ist – auch wenn Effizienz und Einsatz die Maximen sind. Dass Reserven auch mal aufgebraucht sein können – und das dann wirklich niemandem etwas bringt.
Ja, ich war am Boden. Aber ich bin aufgestanden. Bewusst aufgestanden. Und jetzt gehe ich auch bewusst meinen Weg. Denn ich glaube genau das macht den Unterschied.
PS: Am 25. August wird Campino auf der Luzerner Allmend “Steh auf, wenn du am Boden bist” singen. Ich werde dabei sein und es genießen. Ganz bewusst.
Über Tillmann Schulze
Tillmann Schulze ist (Zwillings-)Vater und Buchautor. Unter anderem. Sein „Ponyhof für Fortgeschrittene“*erschien 2014 – in zweiter Auflage gespickt mit Infos aus den Jahren 2 und 3. Auf dem Doppelkinder-Blog schreibt er jetzt regelmäßig als Gastautor über die Irrungen, Wirrungen und das Schöne, was das Leben mit seiner Frau und seinen drei Töchtern so mit sich bringt. Alles begann 1977 an einem Waldrand im Rheinland. Geprägt haben Tillmann zwei große Schwestern, Wetten Dass, Weißer Riese und Schwimmbadwasser. Es gab damals zwei Deutschlands, aber nur einen Kanzler. Später folgten fünf Jahre Westfalen sowie diverse Rufe von Kälte, Eis und Abenteuer, denen er wochen- und monatelang folgte. Bereits seit zwölf Jahren lebt er nun in der Schweiz. Erst zu zweit, dann zu dritt und jetzt zu fünft. Er sei ja eigentlich auch Schweizer, sagt Tillmann, nur das mit dem „Schwiizerdütsch“, das werde nie funktionieren. Aber das macht nichts, die Sprache der Zwillingseltern spricht er fließend. Seine “Zwillbos” sind übrigens die AJs…
Tillmanns Seite: www.zwillingsvater.ch
Mehr erfahren? Tillmann leitet Info-Abende für werdende Zwillingseltern des Zwillingsvereins vom Kanton Zürich: www.zwillingsfamily.ch